OLDIES
CDs
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NEUES AUS
DER
MUSIKWELT
von Franz
Schöler
Franz Schöler ist seit über 40
Jahren aufmerksamer Be-
obachter der Musikszene. In
STEREO kommentiert er neu
erschienene Aufnahmen der
Rock- und Popgeschichte.
Joni M itchell
LIVE AT THE SECOND FRET 1966
AllAccess/In-Akustik CD
(79’)
REPERTOIREWERT
★ ★ ★ ★ ★
ÜBERSPIELQUALITÄT ★ ★ ★ ★ ★
Neben Auftritten im kanadischen
Fernsehen gehören diese in ei-
nem Club in Philadelphia mitge-
schnittenen Songs zu den frühes-
ten Live-Dokumenten von Joni Mit-
chell. Ehrgeizige Talente wie die
aus der Provinz im Norden gekom-
mene Sängerin betrachteten sol-
che auch via UKW-Sender ausge-
strahlten Auftritte als beste (ei-
gentlich auch einzige) Chance, es
zu einer gewissen Popularität zu
bringen. Eine Zeit lang hatte sie
die Malerei als ihre wahre Beru-
fung betrachtet und Songwriting
als Hobby betrieben. Bis sie aus
der Not (für ihren Lebensunterhalt
sorgen zu müssen) eine Tugend
machte.
Was an den Songs einmal mehr
verblüfft, ist die Tatsache, dass und
wie sich Ms. Mitchell schon gänz-
lich von den noch wenige Jahre zu-
vor gepflegten Folk-Traditionen ab-
genabelt hatte. Was sie bis heute
nie öffentlich klärte, ist die Frage,
warum sie nicht die großartigsten
der frühen Songs („Eastern Rain“,
„Urge For Going“, „The
Circle Game“, „Morning
Morgantown“, „Both Si-
des Now“) sofort kom-
plett für die Debüt-LP
einspielte. Und einige
überhaupt nie im Stu-
dio aufnahm! Plausibel
erscheint das aufgrund
des Textes allenfalls im
Fall von „The Circle Ga-
me“, das Jahre später
im
autobiografischen
Songzyklus „Blue“ auf-
tauchte. Hier themati-
sierte sie - allerdings für
so gut wie niemanden verständlich
- erstmals in einer Strophe, dass
sie eine Tochter geboren, aber so-
fort zur Adoption freigegeben hat-
te. Worauf sie erst
1982
in „Chine-
se Cafe“ (mit dem Vers „I bore her
but I could not raise her“) zurück-
kommen sollte.
1995
auf
3
-CD-Bootleg-Set aufge-
taucht, wurden diese ziemlich fas-
zinierenden Beweise für das Song-
schreiber-Genie der jungen Dame
zwar nicht penibel restauriert. Für
Bewunderer ist das dennoch schon
wegen der exklusiven Raritäten ein
unverzichtbares Sammlerteil.
OLDIE DES MONATS
Frankie Valli
JERSEY BEAT -
THE MUSIC OF FRANKIE
VALLI & THE FOUR SEASONS
Rhino 3 CDs (239’) + DVD_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _
REPERTOIREWERT
★ ★ ★ ★
ÜBERSPIELQUALITÄT ★ ★ ★ “ ★
1971
outete sich Clint Eastwood
mit seinem Regie-Debüt „Play
Misty For Me“ auch als Jazzfan.
Sein Lieblingsprojekt „Bird“ wur-
de
1988
kein Kassenknüller, aber
mit diesem Biopic über Jazzlegen-
de Charlie Parker konsolidierte er
sein Renommee als Regisseur. Mit
dem gerade bei uns angelaufe-
nen „Jersey Boys“ hat er das mit
Tonys und Grammies überhäuf-
te Broadway-Musical über Fran-
kie Valli und die Four Seasons
verfilmt. Nachdem deren zeit-
lose Ohrwürmer unter ande-
rem auch in der TV-Serie „The
Sopranos“ zu hören waren,
war Drehbuchautor Marshall
Brickman (der von Woody Al-
lens „Der Stadtneurotiker“ und
„Manhattan“) so frei, auch die
Mafia-Probleme der Stars aus
New Jersey zu thematisieren.
Frankie Valli & The Four Sea-
son war - heute kaum mehr Allge-
meinwissen - so unglaublich er-
folgreich, dass während der
60
er-
Jahre in Amerika nur Beatles, Elvis
und Ray Charles mehr Hits hatten!
Anders als Frank Sinatra aus Ho-
boken (also auch ein Jersey Boy)
schaffte es dieses Vokalensemsem-
ble von Italo-Amerikanern, dass be-
sagte Mafia-Probleme erst viel spä-
ter publik wurden. Sinatra hatten
sie einmal, auf Tournee in Florida,
dort in einem Konzert gesehen und
spontan beschlossen, den Stan-
dard „I’ve Got You Under My Skin“
in neuem für sie maßgeschneider-
ten Arrangement einzuspielen. Das
wurde
1966
sofort ein weiterer ih-
rer großen Hits beiderseits des At-
lantiks. Seitdem sie
1962
jeweils
mehr als fünf Millionen Singles von
„Sherry“ und „Big Girls Don’t Cry“
allein in den USA verkauft hatten,
konnten weder Beach Boys noch
Beatles, nicht die British Invasion
und auch nicht der Soul-Boom ihrer
Karriere gefährlich werden. Produ-
zent Bob Crewe wurde höchst ein-
fallsreicher Geburtshelfer bei ei-
nem Hit nach dem anderen. „Let’s
Hang On!“, „Working My Way Back
To You“ und „Tell It To The Rain“
klangen für viele Hörer nicht alt-
modisch, als die Konkurrenz mitt-
lerweile LPs wie „Rubber Soul“,
„Pet Sounds“ und „Revolver“ da-
gegensetzte.
„Jersey Beat“ ist mit
76
Aufnah-
men und den Hits auf DVD die um-
fangreichste Werkschau, die das
Schaffen von Francis Castelluccio,
den DeVito-Brüdern und ihren San-
geskollegen nicht zuletzt mit ei-
ner
68
-seitigen Broschüre würdigt.
„Who Loves You“, „December,
1963
(Oh, What A Night)“ und „Grease“
(der Sänger mit dem einzigartigen
Falsett für Barry Gibb „the only
choice I could have made“) fehlen
so wenig wie „Can’t Take My Eyes
Off You“ - jetzt „der“ Hit des Musi-
cals überhaupt!
R.E.M.
UNPLUGGED: THE COMPLETE
1991 AND 2001 SESSIONS
Warner Bros. 2 CDs_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _
(135”)
REPERTOIREWERT
ÜBERSPIELQUALITÄT ★
Das „Unplugged“-Konzept des Sen-
ders MTV nutzten manche längst
zu erfolgreichen Arena-Rockern
avancierte Bands, um die Quali-
tät ihrer Songs in ungleich weni-
ger lautstarkem Ambiente zu de-
monstrieren. Genau darauf lief die
durchaus nicht „stromlose“ Show
letztlich hinaus. Von den Songwri-
ter-Qualitäten mussten allerdings
R.E.M. Anfang der
9
oer-Jahre Fans
nun gar nicht überzeugen, an de-
nen zweifelte nach den fabelhaf-
ten LPs seit „Murmur“ niemand.
Den Sender nutzte die Band statt-
dessen geschickt, um durch das
Video zu „Losing My Religion“
von Stars zu Superstars zu mutie-
ren. Als Akustik-Folk arrangiert, ist
ausgerechnet diese beim „Unplug-
ged“-Auftritt
1991
musizierte Inter-
pretation nicht die überzeugends-
te unter den
17
aufgezeichneten
Songs - auch wenn Peter Buck an
der Mandoline gern an einen virtuo-
sen John Paul Jones bei vergleich-
baren (Folk-)Songs von Led Zeppe-
lin anknüpfen wollte.
„Endgame“ bleibt ödes Füllma-
terial, während der Troggs-Klassi-
ker „Love Is All Around“ akustisch,
wo die Band praktisch ins Doo Wop-
Fach wech-
selte, zu den
besten
In-
terpretatio-
nen bei die-
ser
Show
gehört. Wie-
so
Micha-
el Stipe von
„Fall On Me“
erklärt: „This may well be my favo-
rite song in the R.E.M. catalogue“,
während andere der besten frühen
Stücke zugunsten von schwäche-
ren neuen nicht ins Setlist aufge-
nommen wurden, bleibt rätselhaft.
Die Entscheidung, das Konzert
2001
weithin mit Songs der Alben
„Up“ und „Reveal“ zu bestreiten,
anstatt neben „So. Central Rain
(I’m Sorry)“ und „Cuyahoga“ noch
mehr Evergreens zu bieten, folg-
te wohl eher kommerziellen Erwä-
gungen. Um den Repertoirewert ge-
genüber vorliegenden (hochkaräti-
geren) Konzertmitschnitten zu stei-
gern, findet man hier elf seinerzeit
nicht ausgestrahlte Aufnahmen.
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht
STEREO 8/2014 127
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